Die CDU-Kandidatin Tolani erklärte die Querdenkenbewegung mit ihrem politischen Arm „dieBasis“ zum „bürgerlichen Lager“ und wirbt um Stimmen bei dieser. Denn die bräuchte sie, um bei der Stichwahl Chancen auf den Chefsessel im Greifswalder Rathaus zu haben.
Mitbewerberin Schuppa-Wittfoth von „dieBasis“ kam auf überraschende 8 % der Stimmen, wurde Drittplatzierte. Möglich war dieses gute Abschneiden durch viel Wahlkampfeinsatz und durch den Umstand, dass die AfD niemanden aufstellte. Bekannt wurde Schuppa-Wittfoth durch einen Brief, in dem sie Holocaust relativierende Aussagen tätigte. Sie verglich die Pandemieprävention mit der Situation der Jüdinnen und Juden im Dritten Reich.
Schuppa-Wittfoth war stellvertretende Leiterin der örtlichen Querdenken-Demonstrationen, zu deren Orga-Team Franziska Gerbe gehörte, die zuvor in der Identitären Bewegung Deutschland aktiv war. Ebenfalls im Orga-Team ist Andreas Pieper, der sich selbst als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, die Identitäre Bewegung verteidigte und explizit keinerlei Abgrenzung zu Personen vom rechten Rand vornehmen will. Die Redebeiträge und politischen Statements von Teilnehmenden der Greifswalder Demonstrationen waren entsprechend; von Solidarität mit Wladimir Putin über Fake News zu Corona bis hin zu Forderungen nach tödlicher Selbstjustiz per Forderung nach „Dexter help!“ und einem „Nürnberg 2.0“, also auch für die Politiker:innen der CDU! Norbert Kühl, der durch antisemitische Reden auf den von ihm organisierten Greifswalder Pegidamärschen (FFDG), auffiel, war zeitweise organisatorisch ebenfalls beteiligt. Häufiger Redner war zudem Martin Blumentritt, der bewusst die Nähe zu AfD-Flügel-Politikern wie Petr Bystron sucht, ansonsten aber die AfD für eine zu linke Systempartei hält, und in seinen Reden immer wieder Aufrufe für einen Sturm auf den Reichstag tätigt.
Eine äußerst unappetitliche Bewegung, von sachlicher Kritik an einzelnen Pandemiemaßnahmen weit entfernt. Kein Wunder, dass „dieBasis“ vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Was also bringt CDU-Kandidatin Tolani dazu, um Stimmen aus diesem Milieu zu werben und es als „bürgerliches Lager“ aufzuwerten? Ihre originale Reaktion zur Wahlempfehlung von Schuppa-Wittfoth war: „Das bürgerliche Lager sollte nun zusammenstehen, damit wir den Politikwechsel im Rathaus schaffen“ und als die OSTSEE-ZEITUNG die Kritik an Schuppa-Wittfoth verdeutlichte und daher nochmal nachfragte, bekräftigte Tolani sogar, dass sie Schuppa-Wittfoth „nach wie vor dem bürgerlichen Lager zuordne“ und sich über die Unterstützung freue.
Greifswald war seit der Wende CDU-regiert. Mit Stefan Fassbinder änderte sich das 2015. In die Stadt kamen nämlich immer mehr junge Menschen und Akademiker:innen, die Politik sollte ökologischer, dynamischer, sozialer werden. Die örtliche CDU befand sich nicht auf Merkel-Linie, orientierte sich eher an WerteUnion-Kreisen. Aber eines hat die Greifswalder CDU gelernt: sie muss sich neu erfinden, um das Rathaus zurückzuerobern. Gelingen kann das kaum mit dem ruppigen Malermeister Hochschild, eventuell aber mit der Jura-Professorin Tolani. Dass sie nur oberflächlich urban-weltoffen-progressiv erscheint und hinter ihrer Fassade die Law-and-Order-CDU von vorgestern steckt, wissen nur die Kommunalpolitik-Interessierten.
Auf jeden Fall setzte die CDU massive Wahlkampfmittel ein, um Fassbinder zu stürzen. Die Attitüde des Machterhalts als zentrales Ziel äußert sich vor allem in dieser Aussage von Tolani: „Sieben Jahre unter grüner Ägide waren ein Experiment, das nun beendet werden sollte.“ Als hätte die CDU ein gottgegebenes Anrecht aufs Regieren und alles andere wären historische Ausrutscher; die rhetorische Anleihe an einen CDU-Slogan aus Zeiten des Kalten Kriegs ist auch kein Zufall.
Sie führt weiter aus: „derzeit ist die Gesellschaft gespalten,“ sie hingegen würde „Oberbürgermeisterin für alle Greifswalder“ sein. Es ist eine klassisch populistische Formulierung, von einer bewusst herbeigeführten „Spaltung“ zu reden, um eine Wiederherstellung der Einheit des Volkes anzubieten. Dass sie die Populismuskarte zieht, kann man souverän ignorieren, aber besonders brisant wird es, wenn damit explizit auch die radikale Querdenkenbewegung eingeschlossen wird.
Tolani, Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Wismar, ist relativ neu in der Politik; seit 2013 in der CDU und seit 2019 in der Bürgerschaft. Das kann durchaus ein Pluspunkt sein, wenn man unvoreingenommen ist, noch Ideale hat. Aber es ist auch mit Risiken verbunden, allzu leichtfertig die Nähe zu Radikalen und Verschwörungsgläubigen zu suchen und sich auf Unkenntnis zu berufen. Gegenüber der Ostsee-Zeitung betonte sie, sie „kenne auch keine Briefe oder Videos, die die Vorwürfe von Gfa unterstützen könnten.“ Keine Ahnung, nichts gewusst, nichts mitbekommen? Schwer zu glauben, aber wenn es stimmen würde: auf dieser Grundlage möchte sie eine Verwaltung mit hunderten Mitarbeiter:innen führen und sogar die angebliche „Spaltung“ der Stadt beenden?
So manche ihrer Bürgerschaftsreden erscheinen nun auch in einem anderen Licht. So kritisierte sie etwa einen Antrag gegen Rassismus, Antisemitismus und Faschismus, weil dieser sich angeblich nicht gegen Nationalsozialismus richte.
Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechts findet sie also nur wichtig, wenn direkt Holocaust und Weltkrieg verhindert werden müssten? Die antisemitischen, rassistischen und faschistoiden Tendenzen auf dem Weg dorthin umarmt sie lieber, als darin eine Gefahr für unsere Gesellschaft zu sehen?
Einer Aufnahme von Geflüchteten aus Lesbos, angesichts der schrecklichen Zustände im Lager Moria über die Aufnahme von 5 Kindern hinaus, konnte sie auch nicht zustimmen. Ihr moralisch-politischer Kompass wirft immer mehr Fragen auf.
Leider fügt sich auch ins Bild, dass die Greifswalder CDU-Fraktion, der Tolani seit 2019 angehört, eine Zählgemeinschaft mit der AfD einging und von 2019 bis 2022 mit einer Einzelbewerberin hat, die seit Jahren durch ihre Rechtsoffenheit bekannt ist und ebenfalls auf den Querdenkendemonstrationen Reden hielt.
Nicht erwähnenswert wäre es an dieser Stelle eigentlich, dass Tolani natürlich auch wenig für Klimaschutz übrig hat und natürlich auch für das Bekenntnis der Bürgerschaft zur Fertigstellung von Nord Stream II stimmte. Trotz der damals bereits bekannten Problemlage mit Krim, Donbas und Umgehung der Interessen der von Russland bedrohten Länder. Erwähnenswert ist es aber dennoch, da sie in der OZ-Podiumsdiskussion den Versuch startete, dem amtierenden Oberbürgermeister Fassbinder zum Vorwurf zu machen, er hätte in der Zeit vor Kriegsbeginn zu wenig Distanz zu Russland gehabt.
Absurd, denn Fassbinders Partei sowie die Tierschutzpartei stimmten gegen Nord Stream II. Tolani stimmte mit den anderen Parteien für den Bau und sie persönlich verteidigte die umstrittene Pipeline sogar vehement. Und noch absurder ist es, dass ihr Versuch Teil einer ablenkenden und verharmlosenden Antwort auf die Frage nach ihrem skandalösen Verhältnis zu „dieBasis“ war!
Schauen wir uns Schuppa-Wittfoth an. Vor Beginn der montäglichen Querdenken-Demonstrationen war sie reine Privatperson. Sie machte einen Fernstudien-Abschluss an der Fachhochschule Wismar und arbeitet in der Kanzlei ihres Mannes. Auf öffentlichen Veranstaltungen zur OB-Wahl gab sie sich betont moderat, unterließ extreme Aussagen. Doch wie moderat kann eine Kandidatin sein, deren Facebookprofil eine einzige AfD-Propagandafläche ist?
Wir haben uns ihr öffentliches Profil angeschaut und gezählt, welche Seiten, Politiker:innen und Parteien sie dort geteilt hat. Sie steht der AfD näher als ihrer eigenen Partei, wenn man nach der Anzahl der jeweiligen Partei-Postings geht. Die meisten Themen betreffen die Coronamaßnahmen. Aber gerade hier hätte doch ihre eigene Partei „dieBasis“ genügend Material zum Teilen zu bieten. Sie entscheidet sich aber bewusst weitaus häufiger dafür, ihre Unterstützung für die AfD öffentlich zu bekunden.

Über 57 % ihrer Postings sind von der AfD, nur 19 % von „dieBasis“ und weitere 3,5 % von einer Abgeordneten, die von der AfD zu „dieBasis“ wechselte. Schon an dritter Stelle folgt die österreichische FPÖ und an fünfter Stelle die schweizerische SVP. Beides Parteien am extrem rechten Rand. Von der Partei DIE LINKE sind auch einige Postings, etwa von Wagenknecht oder Dagdelen. Nur jeweils knapp 1 % entfallen auf die österreichische Querdenken-Partei MFG, auf die „Freien Sachsen“ und auf die CDU.

Von den konkreten Politiker:innen steht an erster Stelle Martin Sichert (AfD), gefolgt von Martin Schwab (dieBasis), Herbert Kickl (FPÖ), Dirk Spaniel (AfD), Sven Tritschler (AfD), Alice Weidel (AfD), Christian Blex (AfD), Christine Anderson (AfD), Heike Themel (dieBasis, zuvor AfD), Roger Köppel (SVP), Götz Frömming (AfD), Sahra Wagenknecht (DIE LINKE), Bernd Goldenbogen (dieBasis), Christoph Berndt (AfD), Petr Bystron (AfD), Bernhard Zimniok (AfD).
Wer ist Martin Sichert, den sie am häufigsten teilt? Er verharmloste mehrfach die deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg und nannte Erwin Rommel eine „der ehrenhaftesten Gestalten des Zweiten Weltkriegs“, den 9. Mai sieht er als Tag der Trauer an. Es gab ein Ausschlussverfahren wegen Rechtsextremismusverdacht gegen ihn.
Die anderen Politiker auf Schuppa-Wittfoths öffentlichem Facebookprofil sind nicht minder problematisch: Herbert Kickl wird vorgeworfen, „ganz bewusst antisemitische Codes“ in seinen Reden zu verwenden und hat eine lange Liste an Skandalen hinter sich. Dirk Spaniel gehört zum rechtsextremen „Flügel“, strebt den Dexit an, steht Jürgen Elsässer nah. Christoph Berndt wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft. Petr Bystron arbeitet mit Rechsextremen (Identitäre Bewegung, DIE RECHTE) zusammen, lud Störer in den Bundestag ein und wurde vom Verfassungsschutz mehrfach als Begründung für die Einstufung der AfD als Prüffall angeführt. Roger Köppel ist bekennender Trump-Unterstützer, trat mehrfach im Propagandasender RT Deutsch auf.
Nun könnte man ja meinen, dass es Schuppa-Wittfoth nur um einzelne Positionen dieser fragwürdigen Personen ginge. Dagegen spricht jedoch, dass auch die Quellen, die sie (mit)teilt, ein allzu deutliches politisches Muster aufweisen. Neben Corona-Themen von ServusTV & Co. sowie Bhakdi und Wodarg teilt sie: Reitschuster, Solidarität mit Uwe Steimle, „Was ist die Matrix?“, KenFM, Multipolar-Magazin, Zeitzumaufwachen, Deutschland Kurier, RT Deutsch, AUF1, Ruediger Dahlke, Junge Freiheit (mehrfach!), Rubikon, unzensuriert.at, eingeschenkt.tv, klardenkentv etc. Die sogenannten Mainstreammedien, insbesondere die Ostsee-Zeitung, meidet sie eher. Passend zum Aufruf auf den Greifswalder Querdenkendemonstrationen, die Mainstreammedien, und namentlich die Ostsee-Zeitung, zu boykottieren.
Wohlgemerkt sind dies die öffentlichen Teilungen seit Dezember 2021, seitdem Schuppa-Wittfoth also öffentlich in Erscheinung trat und für die Querdenkenproteste in Greifswald mitverantwortlich ist.
Eine Abstimmung zur Wahlpräferenz innerhalb der Greifswalder Querdenkenbewegung auf Telegram ergab auch eine absolute Mehrheit für Tolani. Eine öffentliche Wahlempfehlung wollen sie dennoch nicht aussprechen und lediglich 5 % würden Fassbinder empfehlen wollen.
Dass das Greifswalder Querdenken-Orgateam bei weitem nicht nur Coronathemen zum Anliegen haben, zeigt übrigens diese interne Ankündigung:


Madeleine Tolani zählt diese wissenschaftsfeindliche, verschwörungsideologische und rechtsoffene Querdenkenbewegung mit ihrem politischen Arm und deren Kandidatin Schuppa-Wittfoth zum „bürgerlichen Lager“, möchte damit Greifswalds „Spaltung“ beenden und will auf den letzten Metern noch das „Experiment“ der letzten sieben Jahre beenden, indem sie am kommenden Sonntag mehr als 50 % der Greifswalder Stimmen bekommt.
Es ist zu hoffen, dass Greifswald anders tickt.